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New Economy Erinnerungen 3/3

Pixelpark, Berlin

Nun also Berlin. Wenn man von Hamburg nach Berlin zieht, verwirrt man seine (Hamburger)Mitmenschen. Hamburger verstehen nicht, wieso man auf die Idee kommen könnte, nach Berlin zu ziehen. Bis dahin war mir der tiefe Graben zwischen diesen Städten nicht bewusst. Vielleicht war der Transrapid darum ein Flop…

Pixelpark brauchte recht lange, meine Bewerbung zu bearbeiten. In der Zwischenzeit hatte ich schon einen Arbeitsvertrag bei einer anderen Firma ausgehandelt. Spät, aber dennoch, bekam ich aber einen Gesprächstermin. Die Location: Altes Fabrikgebäude in Moabit. Alles sehr schickt eingerichtet. Mein Bewerbungsgespräch findet im Großraumbüro neben dem Empfang statt. So habe ich Gelegenheit, mir meine zukünftigen Kollegen schon mal näher anzuschauen: sehr jung, sehr beschäftigt, sehr modisch. Ich bin mit meinem Anzug die absolute Ausnahme im Gebäude.

Nach ein paar Wochen Einarbeitung bin ich mitten im Geschehen: E-Commerce Service und Solutions. Von 0 auf Frequent Traveller in 3 Monaten. Wir haben soviele Projekte, dass ein Kollege aus New York lästert, wir würde neue Kunden gewinnen in dem wir das klingelnde Telefon abnehmen. Ich selber habe plötzlich 5 große Projekte an der Backe. Seit dem halte ich mich für recht Stresserprobt, kenne aber auch meine körperlichen Grenzen.

Meine Freundin meint, Pixelpark sei eine Sekte. Wir hätten sogar eine eigene Sprache. So ein Quatsch:
Ich habe ihr einfach den USP von PP nicht transparent genug kommuniziert. Ok, wir haben auch keine Aufgaben mehr, sondern „für das Thema den Hut auf“. Und „Ich seh‘ dich da ganz stark, das ist genau dein Thema“.

Die Kehrseite der Geschichte: Ein Kollege fährt im Rollstuhl durch die Gegend – er war völlig übermüdet gegen einen Baum gefahren. Eine andere Kollegin wird völlig erschöpft vom Hotelzimmer ins Krankenhaus gebracht und an den Tropf gehängt.

6 Internetmonate sind wie 2 Jahre im „echten“ Leben. Länger als 2-3 Jahre bleibt fast niemand bei Pixelpark. Entweder sind die Leute völlig am Ende, oder sie machen sich selbstständig.

Meine liebste Geschichte: Pixelpark zieht von Moabit nach Friedrichshain um. Moabit war der Fast-Food Himmel. Frichdrichshain, na ja. Ein Web-Entwickler macht daraufhin einen Tex-Mex Lieferservice und später sogar ein Restaurant auf.

Das sind die schönen Erinnerungen: Selbstständigkeit und Ideen gab es mehr als genug. Es herrschte ein wunderbarer Geist: Wir surfen auf auf der Welle. Wir machen die Trends. Mehr noch: Wir sind der Trend. Unsere Kunden schmücken sich mit uns als Dienstleister – nicht umgekehrt. Schließlich sind wir auch teuer genug („Du, ich habe da einen Kunden für eine Web-Seite. Der hat aber nur 150.000 EUR. Ich sage dem besser mal ab“).

Viele Projekte sind grandios und laufen wunderbar – einige Projekte werden gegen die Wand gefahren. Später wird man nur noch von den gescheiterten Projekten hören. Zu Recht: Pixelpark hatte nie gelernt, mit Niederlagen umzugehen. Schlechte Projekte wurden einfach ignoriert. Als der Wind härter wurde, war Pixelpark völlig unvorbereitet. Niemand wusste, was zu tun.

Ich (und neben mir viele andere Kollegen) merkten Ende 2000 das die Party langsam vorbei ist. In der Boom-Phase wurden viele, zuviele Leute eingestellt. Plötzlich ist nicht jeder engagiert, motiviert und hoch qualifizert – plötzlich arbeitet man mit vielen Pfeifen zusammen die ihren Job nicht können. Das war kein Beinbruch. Noch bekamen wir jede Woche mindestens einen Headhunter-Anruf. Der Absprung war also (noch) nicht schwierig – später sollte der Name Pixelpark im Lebenslauf Garant für eine schnelle Ablehnung der Bewerbung werden.

Was bleibt: Wir haben in einer Arbeitswelt gearbeitet die es so schnell nicht wieder geben wird. Neue Technologien die eine solche Aufbruchsstimmung hervorbringen gibt es vermutlich nur alle 100 Jahre. Ich habe in 2 Jahren Berlin mehr gelernt als andere Leute in 10 Jahren. Ich habe wunderbare inspirierende Menschen getroffen. Ich habe allerdings auch gelernt, kritischer hinzuschauen. Es ist heute viel schwieriger, mich zu beindrucken.

Ich habe bestimmt ein Jahr gebraucht, mich von der Achterbahnfahrt Pixelpark zu erholen (soviel zum Theme Sekte …). Ich erinner mich an Parties, ich erinner mich an extremen Stress, durchgearbeitete Nächte, böse Streits mit anderen Abteilungen und Wochen in denen ich keine Zeit für einen Supermarktbesuch hatte.

Ist das eine Erfahrung, die man anderen Menschen wünscht? Eher nicht.
Würde ich es nochmal machen? Jederzeit!

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