Christoph Schlingensief
Wir schreiben Anfang der 90’er – 92? 93? Ich gehe mit einer Freundin in ein Programmkino (Camera in Dortmund) um mir Terror 2000 anzuschauen. Ich habe keine Ahnung, worum es geht und von wem der Film ist. Aber der Titel klingt gut und ich vertraue meiner Begleiterin deren Geschmack meistens gut ist.
Der Film ist verwirrend und intensiv. Die ganze Zeit fummelt neben mir jemand an der Soundanlage herum. Es ist Christoph Schlingensief der versucht, den Ton so laut wie möglich hinzukriegen ohne das es zu sehr scheppert. Das macht er nicht einmal, sondern den ganzen Film über. Ständig regelt er nach und versucht offenbar das Optimum aus Film und Kino hinzubekommen.
Wow, denke ich, der Film ist zwar Mist, aber der Autor ist ein besessener Perfektionist.
Nach dem Film steht Schlingensief dem Publikum Rede und Antwort. Es geht schon nach kurzer Zeit weniger um den Film als denn um die Kulturwelt an sich und natürlich über Schlingensief selber. Er erzählt belustigt, wie er nach dem Deutschen Kettensägenmassaker eine „seriöse“ Dokumentation für den WDR gedreht hat. Bei der Präsentation sind einige Redakteure aufgestanden, haben mit dem Kopf geschüttelt und sind rausgegangen. Die Dokumentation war kein Skandel, keine Provokation – sie war einfach nur eine liebevolle Beschreibung des Themas. Und damit entsprach sie so gar nicht der Schublade in die man ihn gesteckt hat.
Meine „Schlingensief-Schublade“ hatte ich nach diesem einen Kinoabend: Ein verrückter Selbstdarsteller. Jemand, der immer Teil seiner eigenen Kunst war. Ein Perfektionist der selbst das Scheitern perfektioniert. Eine Nervensäge, ein Moralist, jemand der seine Liebe breit verteilt. Einer, von denen man weiß das sie nur sehr selten gebaut werden.
Meine Kino-Begleitung gründete danach eine Familie mit jemanden, der viele Filme von Schlingensief geschnitten hat – die Welt ist klein.
Schlingensief ist heute an Krebs gestorben. Über seine Krankheit hat er ein Buch geschrieben. Man sollte das Buch nicht im Zug lesen – es sei denn, man heult gerne in der Öffentlichkeit:
So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!
Der Sensenmann hat scheinbar einen seltsamen Humor. Wie sonst kann man sich erklären, dass er Schlingensief die Möglichkeit gegeben hat, sein eigenes Leiden und seinen Tod noch zu inszenieren.
Ich hätte mir statt dessen lieber andere Werke von ihm gewünscht. Er vermutlich auch.
‹ Liebes Sommerloch. Der Neue Personalausweis ist … also … oder doch nicht ›
Und wieder hat ein Grosser dieses Landes den Kampf gegen den Krebs verloren. Auf jeden Fall wird das Werk und das Wirken von Schlingensief noch weit über seinen Tot hinaus wirken. Schlingensief, der ja Autodidakt war, zeigt uns auch, wie weit man es bringen kann, wenn man sich selbst motiviert. Wir werden noch lange an ihn denken.
Siegfried Anton Paul